von Philipp Sonntag | Schriftsteller
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Frage 2: BEWUSSTSEIN

Wie kann ein arg aufgeschrecktes, hoch nervöses Bewusstsein den Weg zu einer ordentlichen Zivilisation so lange versperren?

Wenn die Menschen einander sinnlos stark belasten, noch dazu Tiere und Pflanzen, was ist das für eine Sackgasse? Versetzt Alarm die Menschen fast immer in Hektik und Panik gegen "die anderen"? Gab es denn nicht schon im Urwald auch mal einfühlsames Wohlwollen? Wie könnte ein behutsames Bewusstsein gelingen mit: "Leben und leben lassen"? Wieso gelingt es so selten? Wie kann es sein, dass auf Planet Erde die meisten Lebewesen nur genau ein (einsKommaNull) Bewusstsein haben? Hilft oder stört sowas auf Wegen zur Zivilisation? Könnte ehrliche KE (Künstliche Emotion) helfen?

Antworten:

2.1  Gewöhnung an Stress

Etliche Menschen sind sich ihrer Tragik bewusst. Einer erzählte mir treuherzig:

"Im Chaos gewöhnen wir Menschen uns an Stress. Obwohl wir sehen, Stress macht kaputt, sogar Computer und Roboter. Nach langer Evolution sind wir endlich aus dem Urwald entkommen. Jedoch bei Verunsicherung im Alltag reagieren unsere Urinstinkte weiter reflexartig, obwohl wir gelernt haben, dass es Säbelzahntiger längst nicht mehr gibt. Unsere Gene ändern sich langsam. Unsere Gentechnik genügt bis auf weiteres keinen zivilisierten Ansprüchen.
Aber wir Menschen sind leichtsinnig. Wir ändern unsere Gesellschaft nämlich tausendmal schneller, als die Evolution unsere Gene. Beziehungen werden neurotisch, zivilisierte Therapeuten wären ein Glücksfall. Und wo Tiere als "einfache, natürliche Partner" erst zivilisiert erscheinen, können auch sie alsbald unsicher, reizbar, launisch und schließlich melancholisch werden. Vieles kann schief gehen, allein schon durch diese Gier. Also Vorsicht bei empfindlichen Nerven."

Ja unbedingt! Auf Planet Erde ist zwar das Fressen auch ganz nett, ähnlich wie auf vielen Exoplaneten. Aber dieses "Gefressen werden" ist abgrundtief ganz schrecklich. Manche Künstler dramatisieren die  Leiden arg zum Gruseln.

In einer tragischen Sackgasse sind auch jene "Menschen", welche versuchen, sich miteinander zu vertragen. Aber solange Menschen noch einen Vertrag bräuchten, um Streit zu vermeiden, bliebe man in seinem "seelischen Käfig" erstarrt.

2.2   Willkür beim Umgang miteinander

Eine tragische Konsequenz ist die Willkür beim Umgang der Menschen miteinander. Einer verfügt über den anderen mit Gewalt. Das kann direkte Gewalt sein (Krieg, Terror), oder indirekte Gewalt, etwa mit Übergriffen wirtschaftlicher, juristischer, sexueller, psychischer Art. Einerseits können die Täter seelisch kaum profitieren, weil/obwohl sie bei einer großen Zahl Opfer übermäßig Reichtum oder Macht ansammeln. Andererseits leidet jedes einzelne Opfer unsäglich, teils mit schädlichen Folgen welche sie lebenslang quälen. Die Sackgasse: Für Verbrechen und Übergriffe gilt auf Planet Erde ein Gewohnheitsrecht, welches oft de facto jedes andere Recht bricht. Und wer allzu hilflos leidet, sucht einfache Lösungen. Ein Beispiel ist die echte Verbitterung der Ossis über echte Ungerechtigkeiten nach der Wende. Motto: Irgendjemand muss ja wohl schuld sein. Dabei übersieht man leicht einen eigenen Anteil an Verantwortung.

2.3  Gefährliche Kontrollversuche

Zu den Ausweichmanövern haben auch Diktatoren beigetragen. Jahrhundertelang haben mehrere Kaiser von China brutal versucht, super-friedliche Menschen quasi herzustellen, nämlich Eunuchen. Deren Eigenschaften schienen zunächst günstig zu sein, jedoch insgesamt hat es die Vorstufen von Zivilisationen mehr geschädigt, als verbessert.
Typische Eigenschaften (Taisuke Mitamura: Chinese Eunuchs – The Structure of Intimate Politics, Charles E. Tuttle Company, Tokyo, 1963, 2nd printing 2072; eine Zusammenstellung von Eigenschaften, Seiten 38ff, S. 63 und 101):

"Eunuchen wurden sanft und fett, sie hatten wenig Kraft, Stärke und Belastbarkeit; sie waren warmherzig, vergossen Tränen beim geringsten Anlass; viele waren klug und scharfsinnig, dabei selten grausam, sondern rücksichtsvoll und kompromissbereit. Einen gewissen Einfluss als Berater hatten sie jedoch nur am kaiserlichen Hof; ansonsten waren sie hilflos wie Babys. Eigenschaften wie intrigant, verschlagen, korrupt beruhten ggf. mit auf der eigenen Rolle im Umfeld; eine Ausbildung wie bei Bürokraten üblich brauchte der Eunuch nicht. Geschätzt wurden zuweilen Eigenschaften wie jugendlich, elegante Kleidung und Manieren (Dandy), sowie klare und süße Stimme, laszives Verhalten."

Keineswegs weniger korrupt und pervers waren breit verwendete Methoden des CIA der USA. Auch dort ging es um Versuche, das Verhalten von Menschen mit radikalen Methoden zu kontrollieren und zum Beispiel für politische Morde und andere Verbrechen abzurichten.
Ein Beispiel (Walter Bowart: Operation Mind Control, Fontana/Collins, London, 1978, Seite 161 ff. im Kapitel Eine Schule für Mörder):

"Die Kryptokratie (Macht der Geheimdienste) rekrutierte ihre Mörder aus Menschen, die bereits eine gewalttätige Natur bewiesen hatten, Menschen, die kaum Hemmungen hatten, Menschenleben zu nehmen. Es wurden keine mörderischen Wahnsinnigen rekrutiert, weil sie nicht kontrolliert werden konnten. Die Kryptokratie brauchte Killer, die nicht aus einem Impuls heraus, sondern nur auf Befehl morden würden. … Man nahm verurteile Mörder aus Gefängnissen und gab ihnen eine militärische Ausbildung und verteilte sie in Botschaften der USA in der ganzen Welt. … Zum Verhaltens-Training gehörte zum Beispiel, belanglose einfache Tätigkeiten auszuüben, während jemand Filme mit schlimmen Szenen von Gewalt anschaute – so sollte jemand sich an den Schrecken gewöhnen, den er bei Opfern der eigenen Aktionen auslösen würde."

Es ging um Prägung für das Gegenteil von Zivilisation (ebd. Seite 132): Nach der Ausbildung sollte der Gewaltbereite beim Empfang von Befehlen strikt loyal sein, präzise bei der Beachtung von Details – einige "der besten Psychologen" der USA haben bei der Planung und Durchführung geholfen.
War nun Guantanamo mehr oder weniger zivilisiert? Politisch lassen sich unzivilisierte Verfahren meist nur vorübergehend geheim halten und schließlich ist der Schaden für Täter aller Art enorm.

2.4  Verfahren wie KI und KE

Inzwischen wird weltweit versucht, moderne, zivilisierte Verfahren zu entwickeln, wie KI. Aber werden solche Verfahren schlussendlich zivil sein? Der Mensch erhöht aus Verzweiflung weiter seine Zerstörungsgefahren, ersehnt aber auch Formen friedlicher Gestaltung. KI erhöht laufend Steuerbarkeit und Störbarkeit. Kommerziell wird KI häufig Ökonomen und Manager übertreffen. Auf militärischem Gebiet wird der Einsatz von KI die Eskalationsrisiken gigantisch verschärfen. Dann wird man beteiligte Menschen bald mit KE (künstliche Emotion) zu kontrollieren versuchen. 2024 gibt es schon so etwas: Artificial General Intelligence (AGI) und Strong AI für Themen wie Empfindungsvermögen, Bewusstsein, Selbstbewusstsein.

Praktische Philosophen ahnen: KE kann womöglich niemand einschüchtern. Aber teils schon KI, dann KE können innere Widersprüche der programmierten Vernunft aufdecken. Da sie nicht mit einem Kurzschluss (wie Durchbrennen von Sicherungen; Panik eines Gemütes) reagieren könnten sie Unheil abwenden. Natürliche Vernunft hingegen kann erfahrungsgemäß mit unvernünftigen Widersprüchen leben, zumindest vorübergehend.

2.5  Weltinnerlichkeitspolitik

Eine stabile Weltinnenpolitik bräuchte tief-innigliche "Weltinnerlichkeitspolitik". Eine Harmonie von Menschen und KE konnte Kant dafür noch nicht benennen, noch kaum bemerken – aber fast erahnen. Kant würde einem Programmierer der Software von KE sein Grundgesetz der reinen, praktischen Vernunft ins Ohr flüstern (ins Ohr brüllen könnte nur stören), um ihn als vernünftiges Wesen anzusprechen. Das zu flüsternde Geheimnis lautet: "Verhalte dich so, dass die Lebensregel deiner Absicht jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte".

Jeder der mit sich selbst ehrlich umgeht, wird alles tun, um eine derartige Vernunft kategorisch zu beachten. Bei so einer Voraussetzung könnte kein Diktator Befehle geben, welche befolgt werden. Allerdings, was kann "alles tun" bedeuten? In der aktuellen Vorstufe von Zivilisation kann ein Diktator zumeist Menschen mit purer Gewalt einschüchtern. Eben das ist die Vorstufe.

2.6  Den Mangel an Zivilisation verstehen

Es gibt Menschen, welche den Mangel an Zivilisation kennen, verstehen und beklagen.

Aus Sicht eines Opfers: Warlam Schalamov („Durch den Schnee – Erzählungen aus Kolyma 1“, S. 289, Matthes & Seitz, Berlin, 2010), ein Überlebender des sowjetischen Gulag, brachte die Erkenntnis mit:

"6. Ich habe erkannt, dass Stalins "Siege" errungen wurden, weil er Unschuldige umbrachte – eine Organisation, der Zahl nach zehnmal geringer, aber eine Organisation, hätte Stalin in zwei Tagen hinweggefegt." Und:

"10. Ich habe verstanden, was für ein gewichtiges Argument für einen Intellektuellen eine gewöhnliche Kopfnuß ist."

Es geschieht millionenfach. Und millionenfach fühlen sich Intellektuelle, Typen wie ich, verdammt schlecht. Obwohl, Zivilisation wäre eigentlich machbar, unklar ist nur, ob sie rechtzeitig gelingt, vor dem Atomkrieg, vor den kritischen Kipppunkten des Klimas.

Zwar wurde eine "Weltinnenpolitik" bereits angedacht, aber die zugehörige Weltinnerlichkeitspolitik braucht stärkere Ausprägung und Entfaltung, siehe Netzwerk-Zukunft.

Stattdessen gilt auf Exoplaneten eine stabile Tradition als normal, wie Aliens einander Millionen Jahre lang liebevoll unterstützen. Als Zeitmaschinennavigator Phila erzähle ich dort gerne über transgalaktische Abenteuer. Es wäre jedoch unhöflich, die Zuhörer zu beunruhigen. Also muss ich aufpassen. Vor allem über den Planet Erde kann ich fast nur kafkaesk frustrierende Legenden berichten, einige Märchenfiguren schwelgen in Brutalität und Sadismus. Zum Fürchten! Da ist es kein Wunder, dass sich UFOs auf Planet Erde kaum je blicken lassen.

@ Philipp Sonntag 2024
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