von Philipp Sonntag | Schriftsteller
Direkt zum Seiteninhalt

Noch kein paradiesisch friedlicher Planet (Talkshow 2018)
 
Copyright by Sonny Sonntag (sonnyart@freenet.de)

Protokoll einer gemütspflegend therapeutischen Sitzung für frisch verstorbene Seelen, wie üblich im Mittelpunkt der Sonne. Eine Reihe matt gleißender Gestalten macht einen nervösen Eindruck.

Moderator MachPara
Polit-Agitator Berlusco III
Schwein Gronz
Hsinghao
Giti von den Grünen Reformern
Prof. Szörgy

Moderator MachPara: Ich begrüße die Anwesenden im Vorhof von Himmel und Hölle. Behaltet erst Mal eure Namen, wie auf Planet Erde. Ich bin der Chef vom Abenteurer-Korps der vorlauten Engel, also von Euch. Einer von Euch wurde auf Planet Erde zum Tier, die anderen zu Menschen. Eure Mission war, einen friedlichen Planeten einzurichten. Das ist wohl dramatischer verlaufen, als erwartet. Wenn ihr die Mission erfüllt habt, könnt ihr hier bleiben.

Polit-Agitator Berlusco III: Das kann doch nicht wahr sein, noch mal zurück auf diesen Horrorplaneten? Die Wüsten sind jetzt grün, die Waffen nur im Museum, das haben verdammt noch mal wir geschafft.

MachPara: Na toll, mein Lieber, aber sag mal: Horrorplanet? Dann habt ihr das Wichtigste ja noch nicht Mal begonnen.

Berlusco III: Was denn? Jahrtausendelang wurden hier diese Menschen in einem ordentlichen Fegefeuer geläutert, immer zwischen zwei Leben vor der nächsten Inkarnation, und trotzdem gab es nix als Streit, in Familien, zwischen Nationen, egal wo. Wir kommen einmal auf den Planeten, und schon flutscht es, und wie!

MachPara: Ja, wie eigentlich? Sagt mir bitte, was ist Euch gelungen – und Mal ehrlich, was ist misslungen?

Funktionär Hsinghao: Wir Chinesen sind das älteste Kulturvolk, und das ewig jüngste. Ich bin Praktiker und unsere Reformen greifen global wie sonst nichts.

Schwein Gronz: Und eure Agrarreform, die greift nach uns! Ihr werft immer noch Dutzende gefesselte Schweine auf eure Lastwagen; viele von uns ersticken elendiglich mitten im Dreck, nur weil ihr für geringste Kosten ein etwas, etwas frischeres Fleisch zum Schlachten haben wollt. Nuancen des Luxus für Euch, aber Horror für uns.

MachPara: Wie ist so was möglich?

Hsinghao: Wir Chinesen sind im globalen Wettbewerb.

Giti von den Grünen Reformern: Ein iranisches Mädchen, ihr Name bedeutet: „Universum, die Welt". Was global rundum alles entschuldigt, kann nur ein Fehler sein. Bei uns im Iran spürt das jeder.

Berlusco III: Und dann gibt es Chaos, Gewalt, Unfrieden.

Prof. Szörgy: Nicht unbedingt, die friedliche Wende begann mit den jungen Grünen Reformern im Iran. Als der alte religiöse Wächterrat merkte, dass er die Jungen beteiligen muss, da bekamen die Chinesen einen Auftrag zur Modernisierung.

Hsinghao: Ja, weil wir religiös cool sind. Mit Szörgy als Berater haben wir lauter Ideen eingeführt, die bei uns zu Hause verboten waren, von denen wir nur träumen konnten. Bei den jungen Grünen im Iran zischte das ab wie eine Rakete.

Giti: Ja, stimmt. Ich wollte was für Neda, unsere Märtyrerin tun. Am Anfang hatten wir eine Wahnsinns Wut im Bauch, aber plötzlich sahen wir eine echte Chance und da wurden wir cool, um es nicht zu versauen. Was dann geschah, war ein Wunder.

Prof. Szörgy: Nicht wirklich. Aus den Religionen wurde jegliche Willkür herausgenommen. Dazu genügte schon, so was wie den Koran ehrlich zu lesen. Im Internet gab es scharfe Comics dazu. Das Lauffeuer war nicht zu löschen.

Giti: Das war irre. Keiner hat es vorher geahnt. Als der Wächterrat merkte, dass man ihn nach seinen eigenen Kriterien beurteilte, so strikt wie wir es bei ihm gegen uns erlebt hatten, da konnte er nichts mehr dagegen tun.

Prof. Szörgy: Dann kamen die Industrieländer dran. Rituelles Autofahren wurde beseitigt. Jeder musste nämlich umso mehr Steuern zahlen, je weiter sein Weg zur Arbeit war.

Hsinghao: Manager wurden effektiv: Keiner durfte mehr als das Fünffache seines schlechtest bezahlten Arbeiters verdienen. Wohlstand breitete sich aus. Die Gewerkschaften haben sich selbst feierlich beerdigt, mit einem Hauch Wehmut, ohne Gewalt, ohne Zorn.

MachPara: Und global?

Prof. Szörgy: Genauso, durch Beschluss der Vereinten Menschen. Der Warenkorb des einfachen Arbeiters durfte sich global nicht wesentlich unterscheiden, da gab es plötzlich faire Handelsbedingungen, bald gab es grüne Slums.

MachPara: Und der Frieden?

Giti: War schon schwieriger. Der Wächterrat wollte sein Monopol auf Gewalt behalten, nahm einen Vorschlag von Hsinghao an.

Hsinghao: Genau, wir richteten die Gewaltsteuer ein, für Terroristen und Künstler: Immer wenn auf der Straße, im Fernsehen, in Kino Computerspielen usw. eine Person eine Waffe hatte, egal ob ein Gesetzeshüter oder ein Krimineller, da war für jede angefangene Minute die Gewaltsteuer zu zahlen.  

Giti: Ja, das gelang mit Handkuss, bald waren Waffen auch in der Realität nur noch peinlich. Wer jemand bedrohte, wurde ausgelacht, verachtet, so als hätte er öffentlich bei einem feierlichen Buffet auf das weiße Tischtusch geschissen.

MachPara: Aber Räuber, Verbrecher, Geheimdienste?

Hsinghao: Ausgelacht. Alle lebten doch im mehr und mehr paradiesischen Überfluss. Wozu sollte man sich was aneignen, was frei verfügbar ist? Wir hatten 50 Millionen fleißige Roboter nach Iran exportiert. Der Mensch arbeitet heute global nur noch Dienstag und Donnerstag von 10 bis 12 Uhr vormittags. Weil die meisten Tätigkeiten längst keine Arbeit mehr sind, sondern Vergnügen und kreatives Leben, im Kindergarten wie im Altersheim, quasi familiäre Freizeit von Betreuten und Betreuern.

MachPara: Das ist aber noch keine Abrüstung.

Prof. Szörgy: Wo Verbrecher sich schämen, werden Polizisten mit Waffen zu Witzfiguren. Aber der Krieg war eine andere Kategorie. Deshalb starteten wir einen Abrüstungswettlauf. Der eine überbot bald den anderen, den alten Feind, mit Vertrauensbeweisen, mit Geschenken. Wer nicht mitmachte, war gesellschaftlich ruiniert.

Berlusco III: Ja stimmt, das fiel mir in der BILD Zeitung auf. Die Vereinten Nationen, das waren die Vereinten Verbrecher, die wurden durch die Vereinten Menschen ersetzt, für den Klimaschutz . Die neue Partnerschaft von früher verfeindeten Nationen wurde von Kindergärtnerinnen organisiert. Wir Politiker, vom Gemeinderat bis zum UNO Diplomaten, wir wurden wie missratene Kinder behandelt. Ich konnte es nur schwer ertragen, aber das gilt heute als das Ende des Mittelalters, und ich erinnere mich, die Befreiung wurde mit dem hundertzehnjährigen Didi Hallervorden in der Waldbühne groß gefeiert.

Gronz: Ja, ja, Friede – Freude – aber vom Eierkuchen kriegen wir Tiere nichts ab. Wir werden weiter mit Wachstumshormonen und sonst was behandelt. So gibt es keinen Frieden auf dem Planet. Uns nehmt ihr nicht ernst, Eure künstlichen Auspüffe habt ihr besser behandelt, gehätschelt, ja andächtig zelebriert.

Prof. Szörgy: Ja stimmt, Du meinst diese Autos, die wurden teuer, die sind wir los. Plötzlich war Krieg wegen Öl ein Witz. Das sah schließlich jeder – sogar die globalen Verwaltungen. Bei denen half ein uraltes chinesisches Märchen.

Hsinghao: Genau, wir haben die Gläserne Verwaltung eingeführt. Vorher wollten Bürokratie und Verwaltung immer mehr Zugriff auf Daten und Bürger. Resultat war wachsendes Misstrauen. Szörgy hatte den Schlüssel zum Erfolg:

Prof. Szörgy: Für gewaltfreie Akzeptanz von Behörden gibt es eine juristisch klare, technisch einfache Lösung, nämlich dem „gläsernen Bürger" eine „gläserne Verwaltung" zur Seite zu stellen. Es geht um die Transparenz der Verantwortung in Behörden.

Hsinghao: Und so wird es gemacht:
Es dürfen Daten erhoben werden, für die es eine vernünftige, einigermaßen plausible Begründung und eine gesetzliche Regelung gibt – etwa für praktische Zwecke wie den Katastrophenschutz
Ebenso dürfen die Daten für begründete Zwecke weitergegeben, verarbeitet und verwendet werden
Neu: Bei jeder Erhebung, Weitergabe, Verarbeitung und Verwendung muss zweifelsfrei notiert werden: Wofür? Warum? Wo? Wann? Vor allem: Wer hat die Verantwortung? Und: Welche Speicherung?

Berlusco III: Es war neu in der Geschichte der Menschheit, dass ein Bürokrat vernünftig abwägen konnte, weil er gleichviel Ärger bekam, egal ob er Willkür für mehr Rechte der Bürger oder Willkür für den Staat unterstützte. Vorauseilender Gehorsam zu jeglicher Form von Ideologie wurde verpönt. Es wurde plötzlich alles ganz einfach – und friedlich.

Gronz: Kann es jemals so einen Frieden mit uns geben? Ställe, die keine Gefängnisse sind? Da muss doch erst Mal der Rassismus gegen uns aufhören. Ihr habt es leicht, Eure Gene sind zu 98% identisch mit denen von Schimpansen. Da schämen sich heute die wenigen übrigen Nazis für ihren altblöden Rassismus. Aber wir Schweine werden weiter wie im Krieg behandelt. Deshalb: „Du Mensch" ist und bleibt das Schimpfwort im Schweinestall.

MachPara: OK, ihr Schweine seid, noch, benachteiligt. Aber was ist das für eine kriegerische Einstellung, Gronz, der Frieden wird auch zu Euch umso eher kommen, je eher ihr Frieden ausstrahlt.

Gronz: Trotz allem, ich weiß. Ich berichte nur, da ist ja keineswegs jedes Schwein so.

Hsinghao: Kommt es denn auf beide an, Menschen und Schweine?

MachPara: Ja! Für den Frieden im Grünen ist der erste Schritt getan. Was noch fehlt, ist eine faire, liebevolle Partnerschaft von allen Lebewesen miteinander.

Prof Szörgy: Selbst dann, wenn man sich gegenseitig auffrisst?

Machpara: Sogar dann, beim Fressen, beim wirtschaftlichen Wettbewerb, überall. Der Frieden von Innen kommt übrigens seit Jahrtausenden in den wirklich guten Märchen vor, auf allen Kontinenten. Bisher gelingt das gerade bei Menschen viel zu selten, denn:
- fast kein Mensch bekommt soviel Liebe, wie er gerne hätte und auch gut vertragen könnte
- und fast kein Mensch wird die ungeheure Menge an Liebe los, die in ihm schlummert, die er jedoch nicht los wird.
Das soll sich aufschaukeln, wie schon der Abrüstungswettlauf. Da ist vor allem der Mensch gefragt, aber auch andere Lebewesen. Ihr seht, auf Planet Erde gibt es noch eine Menge zu tun! Ich freue mich auf Eure Rückkehr!
Ein Gefühl allgemeiner Zustimmung erfüllte den Raum. Den Lebewesen auf der Erde schien es, als ob die Sonnenstrahlen eine besonders friedliche Wärme mitbringen.

@ Philipp Sonntag 2024
Zurück zum Seiteninhalt