UFO Crash vor 4,5 Milliarden Jahren
ceitmaschinennavigator phila | c-base Berlin | UFO an der Jannowitzbrücke | 4,5 Milliarden Jahre alte Raumstation unter Berlin-Mitte
Ante scriptum: Es war einmal und ist bald mehr ein UFO, das stürzte über Berlin ab, noch lange bevor es Berlin überhaupt gab. Die „c-base“, ein Verein von Computerfreaks und Medienkünstlern, in Wirklichkeit UFO-nauten, hat es sich zur vornehmen Aufgabe gemacht, dieses UFO auszugraben. Was sie schon ausgebuddelt haben, sind die Vereinsräume an der Rungestraße 20, direkt an der Spree, gegenüber den Bahnsteigen der S-Bahnstation Jannowitzbrücke. Nicht nur die Mannschaft, sondern auch jeder Alien (also aus Sicht der Mannschaft: Mensch, Mückenschwarm usw.) kann sich dort am Donnerstag Abend in der Lounge hinlümmeln, abhängen und in transgalaktischem Heimweh nach dem Weltceitraum schwelgen. Boote auf der Spree, vor allem dickwandige, stählerne U-Boote in der Spree erinnern an Raumceitschiffe, mit ihren Kabinen, Antrieben, Navigationen und ihrer zwei- bis mehrdimensionalen Freiheit der Bewegung.
Die in der Abenddämmerung finstere Meeresoberfläche rückte rasch näher. Ich schämte mich für den Adrenalin Schub in meinem Körper und dann sagte ich auch noch: „Wir sind auf Crash-Kurs.“
„Stimmt, noch zwanzig Sekunden.“ Kapitän Issa schien gelangweilt.
„Sollten wir nicht endlich was tun?“
„Ach was, lass uns zünftig reinknallen.“
„Können wir wenigstens die ceit strecken?“ Ich hatte gerade erst als Lehrling für die Navigation von ceitmaschinen angefangen.“
„Da, das Infrarote Rädchen drehen – nein anders rum, ja so.“
Das gab unserem Dialog auf der IFO Kommandostation noch etwas Muße bis zum Crash. Für uns war das Fluggerät natürlich ein IFO, ein „Identifiziertes Flug Objekt“. Für die Bewohner des Planeten „Erde“ war es ein UFO, unbekannt, bis zur Ausgrabung.
Ich suchte fieberhaft nach einem Ausweg: „Wenn wir mit dieser langsameren Geschwindigkeit in das Zeug da,“
„Wasser“
„in das Wasser eintauchen, dann können wir da nicht sanft landen und unser IFO reparieren?“
„Sieht nur so aus, wir fliegen nach wie vor mit 40 km/sec und da verhält sich das Wasser beim Aufprall wie ein Felsen.“
Allmählich schien es auch mir irgendwie beruhigend. Mein Vertrauen und meine Zuneigung zu Issa waren unerschütterlich, egal was los war, denn er strahlte immer ansteckende Gelassenheit und eine für mich nervösen ceitraumnovicen willkommene Geborgenheit aus. Geduldig beantwortete er meine Fragen:
„Wo sind wir?“
„Das ist Berlin, an der Jannowitzbrücke, jedenfalls in 53 Millionen Jahren, im Moment ist alles noch unter Wasser.“
„Können wir nicht in so eine andere ceit rüberwechseln, so ein Ausflug nach Berlin, das wäre doch interessant, oder?“
„Wie du meinst. Dafür kannst Du an dem Ultravioletten Rädchen drehen, nein nicht so schnell, sonst kommen wir am Ende in die Nova der Sonne hier, ja so ist es besser. Aber diese Erdlinge, vor allem die Berliner plantschen nicht nur mit Vergnügen im Wasser, sondern sie schütten es auch gerne in sich hinein, in tausenderlei Variationen, am liebsten als Bier“
Ich war fasziniert. Bier, soviel erinnerte ich aus dem Unterricht, war ein Genussmittel für spielerische Ichverwirrung. Ich surfte kurz „Berlin“ plus „Bier“ und fokussierte das Rettungsboot auf die ceit eines rundum glitzernden Gärungskessels, drückte die Realitätstaste, Issa schien alles recht zu sein. Fast im selben Moment löste der Crash den Notceitschub aus, bei allen UFOnauten ging der messbare Kontakt zum Bewusstsein verloren.
Ich fand mich mitten in einem Gärungskessel wieder, nichts pIdaerte.
Ich überlegte, ach so, ohne Körper, egal ob natürlich oder künstlich, fehlte die Automatik fürs Spüren. Man musste sich schon selber bemühen. Ich klammerte mich erst mal, rein gedanklich, an Schrott, der vom Crash des IFOs übrig geblieben war. Das wirkte wohl als brauchbare Antenne, da kam eine Nachricht:
„Gute Übung für Dich und tschüß!“ Das war eine Telepathienotiz von Issa.
„Halt! Wieso ist Dir egal, wann Du bist und wo?“
„Ich hatte schon alle Sorten von Körpern und diese ceit dreht sich sowieso im Kreis, auf langrunde Sicht gesehen. Ich kann auch mal eine Milliarde Jahre warten, bis sich wieder nette Körper heraus evolutionieren. Wenn es fad wir, beschleunige ich es eben. Kannst Du auch alles, gute Übung.“
„Was hast Du vor?“
„Erst mal Urlaub an der ceitgrenze des nächsten Schwarzen Loches“, er schob mir die Koordinaten direkt rüber, „komm einfach vorbei, wenn Du mal nicht durchblickst.“
ceitgrenzen, da wurde mir leicht schwindlig, wie – na ja, ähnlich wie wenn man später in Berlin schwimmen oder Fahrrad fahren lernt - ein Bisschen Übung brauchte ich wohl noch.
„Muss mich erst noch orientieren. Hast Du einen Tipp für mich?“
„Geh ran an alles, nur bei Drogen halte Dich zurück.“
Drogen? Das Surfen ohne Computer war ungewohnt, ich musste mich regelrecht rein hacken. Aha, Bier war eine „Halbdroge“, Wasser war „gesund“, was war das nun wieder für ein Begriff? Wann? Nächstes Glas Bier erst in 53 Millionen Jahren? Na, danke bestens.
Ohne Issa fühlte ich mich einsam, verloren, ein wehmütiges, sehnsüchtiges Gefühl überschwemmte mich – Bier erschien mir plötzlich wie eine Oase in der Wüste. Ich bastelte 1001 Jahre an den Trümmern der ceitmaschine, das gelingt ohne Körper nur mühsamst, bis es functe. Endlich konnte ich mich umschauen.
Die ganze Region lag Hunderte von Millionen Jahren abwechselnd mal unter, mal über Wasser. Für weitere Abwechslung sorgten gelegentlich flüssige Steine, die aus Vulkanen erst eruptiv, dann träge in die Landschaft strömten. Kein Lebewesen war dafür gebaut, darin zu schwimmen. Später von Berlin aus musste man 5 Kilometer in die Tiefe bohren, um etwas erstarrte Lava an die Oberfläche zu holen. Da bohrt man durch dicke Salzschichten, von einem Meer, das 250 Millionen Jahren vor dem Bau von Berlin wogte, bis hin nach den späteren Regionen von Polen und Schlesien.
Schließlich gab es noch Eisschichten, zehntausend Jahre vor dem Bau von Berlin, von denen noch Moränen zu sehen sind. Interessante Typen jagten dort Wisente, Urwildschweine, aber mir war es zu kalt und ungemütlich. Ich stellte auf 53 Mio Jahre später, fokussierte auf eine starke Umbruchphase von Berlin. Es machte Klick und ich fand mich an einem Donnerstag Abend in der Lounge der c-base wieder.
In der Lounge lümmelte in den verschlissenen Ledersofas bei Ultrasound und ahhh jaaa, mit einer Flasche Bier in der Hand seine Merkwürden Dr. Philipp Sonntag, Physiker, Werbetexter, Essayist. Wir erkannten einander sofort als eng verwandte, integrierbare Seelenmodule. Dies lässt sich symbolhaft veranschaulichen als zwei mit „Kopieren + Einfügen“ erstellte Module meines früheren, nach wie vor ureigenen Ichs. Unsere Wiedervereinigung dauerte eine Nanosekunde. Mein auch vorher schon mehrdimensionales Ich ergriff sofort den – typisch Planet Erde - genusssüchtigen Körper und setzte ihn auf die genüssliche Veranda der c-base direkt an der Spree. Diese Körper sind verführerisch, gefährlich und eigensinnig. Schon ging es los, wehmütig, sehnsüchtig – wieso eigentlich – schaute ich den Booten auf der Spree zu, Lastboote aus Polen, dann die „Spree-Comtess“, ein Ausflugboot mit diesen Typen drin, Menschen – na ja, ich war jetzt selber Mensch, mitsamt Körper, das heißt vor allem mit diesen wild wechselwirkenden Hormonen dabei, eine ziemliche unziemliche Gefühlsschlamperei. Schmerz, Panik und Willkür ergaben eine Barbarei, schlimmer als in den meisten Fantasy Geschichten.
Gesellschaft und Ökologie auf dem Planet Erde sind die tragisch-komischsten aller möglichen. Dabei ist das Leben teils äußerst hart und nicht nur kaum auszuhalten, sondern nicht ohne schwere Schäden, die bis in zukünftige Leben hineinwirken. Da muss doch was zu machen sein. Ich koppelte mich selber mit in die allzu oft panikartige Steuerung ein, das half schon etwas, aber wieso ließ sich nicht mehr als 80 Prozent Zuversicht einstellen? Das wollte ich unbedingt wissen und ich wurde beim Gemütssurfen fündig, ah, die Wehmut kam von einem Verlust, Philipp hatte vor 43 Jahren seine heißgeliebte Freundin Ida, das „muntere Schiff“, verlassen, verloren, sich dann fast selber verloren. Das gab viel Emotion, ich schaute genauer hin – hey, das war wohl kein Zufall, mit ihr war ein Seelenmodul des alten, ewig jungen Issa, typisch menschlich runderneuert! Also nix wie mit den Fingerspitzen an einen der Computer, die überall in der c-base bereit standen, bald hatte ich Ida gehackt. Was war da los? Mein Ich-Modul Philipp hatte sie damals 1963 weggeschickt, nach 7 Jahren harmonischer Gemeinschaft, das stand sogar in den vom Krieg bitter geprägten „Lebensabschnitten“ auf www.philipp-sonntag.de.
Ich kenne keinen anderen Planeten, auf dem man derart überwältigend leiden und so hemmungslos verzweifeln kann – und so hingebungsvoll lieben, das ist die einzige Möglichkeit es aufrecht zu überstehen.
Mein integriertes Ich schrieb an Ida einen unendlich behutsamen Brief. Sie spürte den Hauch der transirdischen ceitlosigkeit. Bald lag sie in meinen Armen, das also war Menschsein in liebevollster Sinnhaftigkeit. Ich integrierte sie für alle ceiten mit in meine ceitmaschine und fragte sie:
„In welche ceit möchtest du gerne reisen?“
„Ach, mal hier so in Berlin hundert Jahre später, das fände ich interessant.“
„Gute Wahl, das klappt bei einem so begrenzten ceitraum gelegentlich, wenn auch recht selten, sogar mitsamt Körper.“
„Was? Du meinst ...?“
„Wenn ‚Du’ an Deinem Körper hängst, dann ist das nur die Ankopplung an einen Überlebensreflex des Körpers.“
„Ach so.“
„Keine Angst, wir beide lassen uns nicht mehr trennen. Eh ich es lang und breit erkläre, schau einfach was pIdaert.“
Ich drehte an dem ultravioletten Rädchen. Derart ceitlich nahe erschien es uns ganz unbeschwert, es war ein Gefühl wie mitten in überschäumendem Sekt zu baden. Ich schaute mal von etwas weiter oben, der Wannsee hatte schon ganz Zehlendorf überschwemmt, da war ein Meer bis Hamburg, ich nutzte die ceitmaschine als Uboot. Nix wie ran.
Gelungen! Ida war entzückt, unsere Körper waren unversehrt dabei. Berlin hatte inzwischen zahllose Kanäle, Brücken, Pfahlbauten, wie das alte Venedig. Ein Unter-Wasser-Botanischer-Garten eröffnete die ganze Pracht von Fauna und Flora. Ein paar Tage im Biolab in Berlin-Buch genügten, um Ida und mir genetisch passende Kiemen ranzuklatschen, die bei Landgängen abgeschnallt und in voluminösen Reagenzgläsern frisch und einsatzbereit gehalten wurden. Ida und ich mochten unsere wasserum- und influteten, biotechnisch dezent modernisierten Körper auf dem „blauen Wasserplaneten“.
Es war cool, hingegen ist ein „warm.du.scher“ laut c-base almanach ein „nasscellenbetreiber, der sich der ganzcörperberieselung mit auf cörpertemperatur erwärmtem wasser hingibt.“ Man mag auf der c-base lieber die „calt.du.scher“, weil kühles Bier innen mit kühlem Wasser außen besser harmoniert.
In den Unter-Wasser-Ceitungen stand, dass die Klimakatastrophe sich unumkehrbar fortsetzen würde und Berlin auf Satelliten verlegt werden müsste. Das war doch was. Ida und ich gaben die ceit- und gleich auch die raumkoordinaten dafür ein. Und los!
Im als „nächstem“ empfundenen Moment zeigte sich uns der Satellit „Neo-Berlin“. Im Rückspiegel sah ich, wie unsere Körper blitzartig zum Erdmittelpunkt gebeamt und dort recyclt wurden, das war ein wehmütiger Moment, denn man leidet ja schon, wenn man ein altes, über die Jahre vertrautes Auto verschrotten lässt. Und keine Körper entsteht ohne wenigstens einen Augenblick der Liebe, die auf der Erde ganz eigene Weltemotionsdimensionen eröffnet hatte.
Ich fokussierte mich mit Ida auf eine quasi virtuelle Umlaufbahn. Unsere liebevolle Zuneigung war völlig unverändert, ohne Körper schien unsere gemütsinnigliche Umarmung noch trans-sphärenhafter, gänzlich ungestört, rundum harmonischer zu sein.
Gesellschaftlich war die mühevolle Ankopplung an Körper sowieso seit Äonen eine bittersüße Falle gewesen, Täter spürten im eigenen Leben weniger als ihre Opfer, danach wenn es zu spät war, umso mehr. Die Läuterung wurde nur unzureichend ins nächste Leben übertragen, das war ein seelentechnischer Fehler mit Folgen: Schmerz, Folter, Krieg, Drogen, penetrante Moral und dramatisierende Politik hatten zu einer Panikgesellschaft geführt. Erst der klimatische Verlust der Erdoberfläche brachte so um das Jahr 2300 „die Wende“: Schmerz wurde auf das natürlich unvermeidliche Minimum eingeschränkt.
Das neue Motto war: „Gemeinsamer Egoismus“, wobei die Gültigkeit von „gemeinsam“ laufend erweitert wurde, bis es sogar alle Pflanzen einbezog. Ein „Verein für radikale Nächstenliebe“ hatte sich mit einer „Neo-Genossenschaft für Sozialismus nach wahren Bedürfnissen“ vereinigt. Die Dynamik kam mit aus dem Frust über eine gescheiterte „Wende“, die es offenbar kurz vor 2000 gegeben hatte. Daher kam wohl auch der Spruch: „Ich geh die Wende hoch“. Das wurde nun zur neuen Metapher für ganzheitliche Veränderung. Nach der Wiedervereinigung aller Lügen zur Wahrheit war es plötzlich soo leicht geworden!
Ida und ich suchten uns zwei passende Embryos aus. Wir wurden unter Wasser, im Wasser geboren – und blieben gleich dort. Schwerelosigkeit im genüsslichen Labyrinth Berliner Kanäle, es gab keine Wasseroberfläche mit angrenzender Luft, sondern nur ein verspieltes Labyrinth von künstlerisch gestalteten Wänden. Moderne Reparaturwerkstätten hatten alles bestens im Griff.
Diese Schwerkraft auf Planeten zieht einen runter, es sei denn natürlich man ist wirklich gut drauf. Ida und ich zelebrierten die unerschöpfliche Leichtigkeit des Neo-Berliner Daseins. Das war ein guter Kontrast zu unseren Ausfügen an die ceitgravitationsgenzen der etwas größeren schwarzen Löcher. Umgekehrt genossen die Heavynauten aus dem Inneren der schwarzen Löcher gerne unsere Gastfreundschaft im plätscherigen Gebilde Neo-Berlins und den immer geöffneten Unter-Wasser Bier-Kneipen. Dort führten unsere völlig vergeblichen Versuche, ihnen das historisch belegte Ereignis „Fremdenhass“ zu erklären, immer wieder zu wahnsinnlichen Lachsalven. Einer, der es endlich kapiert hatte, fragte:
„Wieso habt Ihr eine Wende gebraucht, ich meine ihr Menschen hattet doch über 98 Prozent der Gene mit den gebildeteren Affen gemeinsam, also wenn schon RIdasmus, dann hättet Ihr besser mit den Fröschen gegen die Hühner aggressiv werden sollen ...“
Oh transgalaktische Peinlichkeit! Wenn ich an die Geschichte der Menschheit denke, gehe ich die Wende hoch, wie alle anderen Menschen. Das sollen wir auch, nur so vermeiden wir den Rückfall in die ceit bis zum Jahr 2300, also ins finstere Mittelalter.
Wer schon mal einen Hauch transgalaktischer Freiheit schnuppern möchte, kann dies jeden Donnerstag Abend in der c-base Rungestr. 20 tun, mit Blick auf die Spree, bei mondklarer Nacht mit Blick auf die unerschöpfliche Gemütsweite des Weltceitraumes.